Verantwortung

Rede anlässlich der Gedenkfeier 2014 zur Reichsprogromnacht

 

Der Ort und das Vermächtnis der hier Umgekommenen fordern unser „Nie wieder!“ heraus.

Stattdessen erleben wir aber weiterhin

·         Waffenlieferungen an alle, die bezahlen,

·         Wirtschaft und Politik zu Lasten Dritter,

·         Zerstörung der Lebenswelten von Völkern und Kulturen,

·         Ausbeutung der Geringverdiener,

·         Tote an Europas Außengrenzen

 

Es hat auch etwas mit uns zu tun, wenn Menschen ihre kriegs- und krisengebeutelte Heimat verlassen müssen. Die Menschen in den  überfüllten Booten auf dem Mittelmeer gehen uns alle etwas an.

 

Wir können:

·         wegschauen und die Verantwortung nicht wahrnehmen wollen.

         Manche münzen es in Aggression um. Das entlastet.

 

Wir können

·         auf anderen zeigen, d.h. die Verantwortung abschütteln, abwälzen, abschieben.

·         betroffen sein und Verantwortung auf uns nehmen und sie tragen.

 

Ich will heute nicht über ihre Fluchtursachen und deren Bekämpfung sprechen.

Ich will mich beschränken auf den Umgang mit Flüchtlingen hier in Kaufbeuren, hier im Ostallgäu.

Hier gilt es ebenfalls, Verantwortung zu übernehmen.

 

Was brauchen Menschen nach Verfolgung, Traumatisierung, Flucht?

 

Sie brauchen Sicherheit, d.h. sie müssen sich hier sicher fühlen. Das können sie nur, wenn sie hier nicht Anfeindungen und Übergriffe befürchten müssen. Flüchtlinge haben Angst. Ich kenne welche, die schlafen immer in ihren Kleidern. Sie haben Angst und meinen, stets bereit sein zu müssen zur Flucht.

 

Deshalb brauchen sie unseren Schutz. Wir müssen uns vor sie stellen.

 

So entsetzt und wütend ich über die inzwischen in die Tausende gehenden aggressiven und ausländerfeindlichen Meinungsäußerungen in Facebook aus Kaufbeuren und Neugablonz bin,

so sehr freue ich mich über die inzwischen mehr als 500 Unterstützer ebenfalls aus Kaufbeuren und Neugablonz auf der Seite, die Partei ergreift für die Flüchtlinge.

 

 

Was brauchen Menschen, die Heimat, Familie, Hab und Gut zurücklassen mussten?

Sie brauchen materielle Versorgung mit dem Notwendigen.

 

Dazu gehört auch eine medizinische – und wenn notwendig – auch therapeutische Versorgung.

Es handelt sich ohne Ausnahme um Menschen, die Angst, Gewalt, Bedrohung, Trennungsschmerz erlebt haben. Viele noch viel mehr.

 

Eine Ärztin aus der Ambulanz des Bezirkskrankenhauses hat letzthin bei einer Besprechung gesagt, sie habe unter all den vielen Patienten dort keine getroffen, die so tief traumatisiert waren und so heftige Symptome zeigten wie die dort behandelten Flüchtlinge.

Diese Symptome sind Angst, Schlaflosigkeit, extreme Unkonzentriertheit, Krämpfe, Schmerzen und immer wieder Angst. Sie können ausgelöst werden durch ein Geräusch, einen Geruch, ein Bild, eine Bemerkung, einen Silvesterböller.

Von solchen Traumata kommt man in der Enge einer Flüchtlingsunterkunft bestimmt nicht los.

 

Was brauchen Menschen in einem fremden Land, in einer fremden Kultur?

Sie brauchen gesellschaftliche Teilhabe.

 

Dazu gehören das Erlernen unserer Sprache und das Kennenlernen unserer demokratischen Gesellschaft mit ihren Spielregeln. Das brauchen nicht nur diejenigen, die hier ein Bleiberecht bekommen, sondern auch jene, die vielleicht wieder in ihre Heimat zurückkehren müssen oder wollen.

Sie werden ihre Erfahrungen zu Demokratie und Menschenrechten weiterleben und weitergeben.

Eine Untersuchung hat gezeigt, dass dies die effektivste Entwicklungshilfe für die Heimatländer ist.

 

Wir sind nicht an der Grenze unserer Kapazitäten. Es gibt Länder, die haben weitaus mehr Flüchtlinge aufgenommen, z.B. der Libanon oder Schweden. Es gab Zeiten, da haben wir ebenfalls weitaus mehr Flüchtlinge aufgenommen. In Kaufbeuren lebten in den 90er Jahren 400 Flüchtlinge in den beiden Containerdörfern im Gefängnishof und hinter der Musikschule. Heute haben wir noch nicht die Zahl von 200 erreicht.

 

Angesichts der täglichen Schlagzeilen über die Not der Flüchtlinge, angesichts der Panikmache und angesichts der aggressiven flüchtlings-feindlichen Äußerungen hier in Kaufbeuren und Neugablonz auf Facebook möchte ich euch alle dazu aufrufen, zusammen zu stehen.

 

Ein Bürgermeister aus der Umgebung hat kürzlich gesagt:

        Wir müssen uns nicht wegen der Flüchtlinge sorgen.

        Wir müssen uns um sie sorgen.

 

Ich wünsche mir ein Bündnis für Flüchtlinge hier in Kaufbeuren, vielleicht auch im ganzen Ostallgäu.

Kommunen, Kirchen, Vereine, Geschäfte, Schulklassen, Familien und Einzelpersonen sollten ihm solidarisch beitreten.

 

Dieses Bündnis muss garantieren, dass den Flüchtlingen die oben genannten elementaren Bedürfnisse erfüllt werden.

 

Wir vom Arbeitskreis Asyl können das im Moment nicht auch noch leisten.

 

Weiterführende Informationen:
Asylbrief-2014.pdf
Asylbrief 11-12 2012 (4) Asylbrief 11-12 Seite 2 (4)

 

Sprecher des Arbeitskreises Asyl:
Günter Kamleiter
kamleiter@arbeitskreis-asyl-kaufbeuren.de